Einzigartig und liebenswert

Der Berner Mättu geht offen mit HIV und seiner Homosexualität um. Das ist selbst als gläubiger Christ auf dem Land möglich. Er ist umtriebig, voller Leben und hat viel zu erzählen: Mättu aus Gümmenen in der Nähe von Bern lebt seit Ende 2018 mit HIV. Damals befand er sich wegen einer Lebenskrise zu einem stationären Aufenthalt in einer Klinik. «Das war gut: Ich fühlte mich gut aufgehoben und betreut.» Die Diagnose hat bei ihm vor allem Aktivismus bewirkt: «Ich wollte alles über HIV wissen und habe mich gründlich informiert.» Er wurde in Interessengruppen aktiv und fand mit Werner, seinem Peer von der Aids Hilfe Bern einen Menschen, mit dem er über alles reden konnte, was ihn in Sachen HIV umtrieb.

Porträt von Claudia Langenegger

Dass der 38-jährige Berner «sein HIV» mit viel Selbstsicherheit packen konnte, hatte auch mit etwas anderem zu tun: mit seinem Outing als homosexueller Mann zehn Jahre zuvor. «Damals habe ich gelernt, zu mir zu stehen», erzählt Mättu. «Das war eine richtige Befreiung. Vorher habe ich ein Doppelleben geführt, das mich fast kaputt gemacht hatte.»

Sein Outing 2008 und die HIV-Diagnose 2018 waren ein Akzeptieren seiner selbst in zwei Stufen: «Beides zusammen wäre bestimmt zu viel gewesen.»

Mättu ist in einem gläubigen Umfeld daheim und wohnt ländlich. Ein Setting, von dem man annehmen könnte, dass es Angst vor dem Stigma und Heimlichtuerei fördert. Aber: «Negative Reaktionen oder Ausgrenzung habe ich nie erlebt. Ich fühle mich auf dem Land sehr wohl und nicht ausgestellt», sagt der Berner. «Ich gehe aber auch offen und ehrlich mit HIV und meiner Homosexualität um.» Bei ihm findet man ein Regenbogen-Bodendecheli vor dem Hauseingang, wer von HIV wissen will, soll es wissen.

2008 hat er sich den Methodisten angeschlossen, hier fühlt er sich mit seinem Glauben sehr wohl. «In den christlichen Gemeinden gibt es nicht nur Fundamentalisten, sondern auch progressive Leute.» Nämlich jene, die christliche Nächstenliebe leben.

In seinem Sexualleben oder dem Empfinden von Sexualität hat sich seit seiner HIV-Diagnose nichts verändert. «Denn ich wusste eigentlich sofort, dass U = U gilt: Dank der Therapie ist das Virus nicht nachweisbar und ich kann es nicht übertragen», erzählt Mättu. So kann er mit seinem Lebenspartner eine angstfreie Sexualität leben.

Letzten Sommer erlebte er den jüngsten Umbruch in seinem Leben: Er hat sich einer Magenoperation unterzogen. Sein Gewicht purzelte daraufhin innerhalb eines halben Jahres von 135 auf 78 Kilogramm. «Der Tag der OP ist wie mein zweiter Geburtstag», freut sich Mättu. «Jetzt fühle ich mich endlich wieder rundum wohl in meinem Körper.»