Guten Tag, Sie sind HIV-positiv!
Ein Gespräch mit Christopher Klettermayer und Brigitta Javurek
Diagnose: HIV-positiv. Und jetzt, wie weiter? Christopher Klettermayer spricht offen über Verunsicherung, Ängste, Schuldgefühle und die ersten 24h mit der Diagnose.
2014 wurde Christopher Klettermayer auf einer Arbeitsreise in Indien positiv auf HIV getestet. Eine Diagnose, die für ihn aus heiterem Himmel kam und ein abruptes Ende seines alten, gewohnten Lebens bedeutete. Im Kamingespräch mit Brigitta Javurek erzählt er offen und ohne Scham von den ersten 24 Stunden mit der Diagnose, von Verunsicherung, Schuldgefühlen und Ängsten, seinem veralteten Wissen über HIV und Aids sowie davon, wie sich sein Leben seither veränderte.
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Sprecher: Positive Life. Der Podcast über das Leben mit HIV.
Brigitta Javurek: Hallo. Guten Tag. Mein Name ist Brigitta Paulina Javurek. Ich bin euer Host.
Christopher Klettermayer: Hallo, Ich bin Christopher Klettermeier, Autor und Co Host dieses Podcasts.
Sprecher: Episode eins. Kamingespräch mit Christopher.
Christopher, du wurdest 2014 in Indien - es war Neujahrsbeginn im Januar - positiv auf HIV getestet. Wie war das?
Christopher Klettermayer: Das war ein ziemliches Neuland. Es kam natürlich wie ein Schock. Ich hatte mich eigentlich nie in der Risikogruppe gesehen. Und ich war in Indien, um an einer Reportage zu arbeiten. Und da ging ich in einen Ashram, wo halt wegen älterer institutionellen Gründen ein HIV-Test verlangt wurde. Und der war auf einmal positiv.
Also, das heisst, du warst in Indien zum Arbeiten. Du hattest einen Auftrag und dann musstest du einen HIV-Test machen und der war dann auch positiv.
Der war dann auch positiv.
Vorher hattest du von HIV schon mal was gehört?
Das schon. Und generell würde ich sagen, war ich meistens recht vorsichtig. Natürlich kann es passieren, dass man das Kondom manchmal weglässt, aber dass ich dann plötzlich HIV-positiv war, war natürlich ein riesiger Schock und es kam einfach aus dem aus dem Nichts heraus. Ich ging in den Test hinein und dachte mir, der kommt sicher negativ zurück, warum sollte ich mir da Sorgen machen? Und dann kam plötzlich dieses Ereignis. Ich wurde zur Seite zitiert und diese Dame von diesem Ashram hat mir dann erklärt: "Du, Christopher, mit deinem Test ist was" Und ich hatte dann 24 Stunden, weil dann bräuchten Sie noch einen Test machen, einfach um sicher zu gehen, ob das ein tatsächlich positives Ergebnis war. Und in diesen 24 Stunden war ich dann alleine im Hotelzimmer und musste halt warten. Und ich glaube das war wahrscheinlich die längste Nacht meines Lebens, weil irgendwo im Hinterkopf wollte ich es natürlich nicht wahrhaben. Aber gleichzeitig, irgendwo im Bauchgefühl, wusste ich, dass es stimmt. Und das war eine Horrorvorstellung für mich. Und zum Glück gab es eine sehr gute Internetverbindung im Hotel und ich wusste, ich muss jetzt alles über HIV herausfinden.
Was wusstest zu diesem Zeitpunkt über HIV? Was war deine Vorstellung?
Zu dem Zeitpunkt? Ich bin 82 geboren. Für mich war HIV quasi Freddie Mercury. Und im Hinterkopf wusste ich von Aids, wusste ich von HIV ungefähr, und ungefähr wie es übertragen wird. Ich nenne es immer gefährliches Halbwissen. Ich wusste ein bisschen was, aber was ich wusste, es war extrem veraltet.
Hattest du auch diese schrecklichen Bilder noch? Kanntest du die noch?
Und wie! Ich hatte diese Gedanken: Werde ich daran sterben? Kann ich Kinder bekommen? Kann ich je wieder Sex haben? Und natürlich wie erzähle ich es meiner Familie, meinen Freunden? Sollte sich dieses positive Ergebnis bewahrheiten, scheisse, was mache ich dann? Ja.
Und dann? Also, du gingst ins Internet. Und was hast du da gefunden?
Unglaublich viel Informationen. Ich war wirklich überrascht, wie weit mein Wissen von der Realität weg war. Plötzlich lernte ich den Begriff Nachweisgrenze kennen und sah dass sich da extrem viel getan hat. Und ich hatte auch das Glück zu wissen, dass ich meinen Bruder und meine beste Freundin anrufen kann.
In dieser Nacht hast du diese beiden Telefone gemacht?
Und wie haben die reagiert? Ich meine, das war ja für die auch ein Schock, stelle ich mir vor.
Mein Bruder ist da sehr "methodisch". Es war sicher ein Schock für ihn. Das hat er sich aber nicht anmerken lassen. Er hat sich dann quasi mit mir hingesetzt und wir haben gemeinsam recherchiert und er hat mir Links geschickt, ich habe ihm links geschickt. Und das war wirklich so ein Rettungsanker in dieser Nacht. Meine beste Freundin für den emotionalen Support und mein Bruder für das Logistische und die Fakten.
Musstest du weinen?
Ja. Und wie! Es ist schwer, mich da noch hineinzuversetzen in diese Nacht, in diese 24 Stunden, weil das einfach nur ein unglaublich beengendes Gefühl ist. Und es war ein bisschen so, als ob man die Büchse der Pandora öffnet und da fliesst eine Angst nach der nächsten, ein Thema nach dem nächsten. Und ich glaube, das macht HIV oder so eine Diagnose einfach so schlimm. Das ist nicht nur ein Thema ist, es kriecht in alle Lebensbereiche.
Hattest du noch Hoffnung, es könnte kippen?
Ja, aber auf eine ganz eigenartige Art und Weise. Ich wollte es nicht wahrhaben. Und dieses :"Ich will es nicht wahrhaben, es muss doch ein Fehler sein." Das begleitete mich sicher noch ein halbes, 3/4 Jahr. Also auch, wie ich schon die Therapie angefangen habe, wie ich schon wieder in Wien war, da gab es immer dieses Gefühl, das kann doch nicht wahr sein. Und dieses Gefühl ist einfach eine Art Verdrängung. Da ist irgendwie so ein Fünkchen Hoffnung, dass irgendjemand einen Fehler gemacht hat.
Konntest du rekonstruieren woher du das Virus übertragen bekommen hast?
Ja, das wollte ich unbedingt. Das war einer der ersten Aufgaben für mich, herauszufinden Woher habe ich das? Und habe ich jemanden gefährdet? Bzw. jemanden angesteckt?
Das war wichtig.
Das war ganz wichtig. Da hatte ich echt eine Panik davor, weil ich dachte mir immer okay, ja, ich werde schon irgendwie damit leben können. Ich werde es schaffen. Aber die Schuld mit der Schuld zu leben, jemanden anderen angesteckt zu haben. Das hat mich aufgefressen. Und dann habe ich im Laufe der Zeit auch mit meinem Arzt gemeinsam. Also dann, als ich wieder nach Wien gekommen bin, konnte man ungefähr sehen, wie lange ich schon dieses Virus habe. Und da konnte ich mir circa ausrechnen, wer es gewesen sein könnte. Und ich musste dann überlegen, wer kann das gewesen sein? Und habe an das letzte halbe Jahr zurückgedacht. Und da gab es vier Frauen, die ich kontaktieren musste oder kontaktieren wollte und ich wollte noch nicht nach Wien zurück, weil ich wusste, wenn ich in diesen Flieger steige, dann fängt dieses HIV leben an und während ich noch in Indien bin, kann ich mich noch der Arbeit widmen. Dann kann ich noch ein bisschen von diesem alten Leben geniessen.
Und wie haben diese Frauen reagiert?
Wartest du noch? Zuerst habe ich versucht anzurufen. Das war ein bisschen schwierig, weil die meisten waren in Wien, aber eine war in Südamerika. Und dann habe ich Emails geschrieben und ich habe denen gesagt, geht sofort testen bitte und mit zweien habe ich dann auch telefoniert. Und die aus Südamerika hat ganz böse zurückgeschrieben. «Wie kannst du mir das sagen? Ich fange gerade eine neue Beziehung an» und es stellte sich auch heraus, dass sie diejenige war, von der ich es dann bekommen habe?
Hast du noch Kontakt?
Nein, leider nicht. Ich war schon bemüht, mit ihr in Kontakt zu bleiben. Aber dann, vor ein paar Jahren, habe ich auf Facebook nachgesehen und sehe dass sie mich gelöscht hat und war dann aus dem Leben draussen. Die anderen drei waren mir sehr dankbar. Mit zwei davon hatte ich schon länger so ein so on and off Beziehungen und deswegen war es bei denen eigentlich einerseits schwieriger, ihnen das zu erzählen, aber die Aufnahme war viel leichter. Und mit denen habe ich dann eben auch telefoniert. Und mit einer gab es ein eigenartiges Bonding, das ein halbes 3/4 Jahr dauerte. Weil sie halt auch in dieser Situation gewesen ist. Sie ist negativ. Ich habe niemanden angesteckt, Gott sei Dank. Also sie war da knapp dran und das war irrsinnig verbindend und sie war eine unglaubliche Stütze für mich und ich für sie auch, bis wir beide das irgendwie überarbeiten konnten.
Jetzt machen wir einen Sprung und irgendwann warst du wieder in diesem Wien. Du kommst aus Wien. Du hast dort gelebt zu dieser Zeit. Wie war das? Du steigst aus dem Flieger und wusstest ab jetzt bin der Christopher, der mit HIV lebt. Und in Indien konntest du da noch so tun, als wäre es vielleicht doch ein Fehler oder so und jetzt ist es nicht mehr so. Wie war das?
Das Schwierige war, ich musste es eine Zeit lang natürlich vor vielen Leuten geheim halten, vor allem auch meiner Mutter und meiner Schwester. Und das war das Schwierige, dieses Doppelleben.
Konntest du es deiner Mutter nicht sagen?
Meine Mutter war Krankenschwester und ich komme aus einer Ärztefamilie. Und da wollte ich ihr die Fakten geben. Und ihr auch sagen, dass die Medikamente wirken. Aber dazu musste ich erst die Erfahrung sammeln und dazu musste ich auch mit mir selber stabiler sein als nach der Erstdiagnose.
Du hast gesagt Therapie, das heisst du hast ganz rasch mit der Therapie begonnen.
Mein Arzt meinte damals, ich könnte theoretisch ein Jahr warten, aber mir war es einfach wichtig unter die Nachweisgrenze zu kommen. Ich dachte, ich muss da jetzt darunter kommen. Ich wollte nicht ansteckend sein. Und das war die grösste Angst, dass ich jemandem was tun könnte. Und ich meine, Sexualität ist dann ein nächstes, ganz großes Thema.
Kommen wir drauf.
Aber das war mir ganz wichtig, mal unter die Nachweisgrenze zu kommen und mich eben auch medizinisch zu stabilisieren.
Du bist ja Fotograf. Konntest du weiterarbeiten? Du hast ja geschildert, wie du in Indien eigentlich an einer spannenden Reportage dran warst. Ja, wie geht man damit um, wenn es einem eigentlich mal so den Boden unter den Füssen wegreisst? Man hat ein Geheimnis vor der Familie. Man nimmt heimlich Medikamente. Wie war das? Hast du so ein bisschen ein Doppelleben geführt?
Also, das war wirklich ein klassisches Doppelleben. Und Arbeiten fiel mir extrem schwer. Vor allem mit Fotografie Produktionen, wo man quasi als alpha Mann auftreten muss oder sagen wir mal Alphatier. Als Fotograf leitet man das Shooting. Man gibt Vorgaben, man sagt, was gut ist oder nicht. Und dann stehe ich da vor Pitch Meetings und ich habe keine Ahnung, ob ich mir selber vertrauen kann. Es rattert im Hinterkopf. Ich Idiot habe mir HIV eingeschnappt, wie kann ich meinen eigenen Entscheidungen vertrauen? Und somit führte das auch zu einer Verunsicherung. Und es war mir dann auch so egal, weil ich hatte einfach diese anderen Sorgen, um die ich mich kümmern musste Und das war dann auch beruflich eine ziemliche Abwärtsspirale.
Wie bist du da rausgekommen?
Zeit, viel Zeit. Und natürlich gab die Unterstützung meiner Familie. Nach ein paar Monaten habe ich es dann natürlich auch meiner Mutter und meiner Schwester gesagt und meinen Freunden Und da gab es halt auch sehr, sehr viel Unterstützung. Und dafür bin ich natürlich immer dankbar, dass ich da dieses Auffangnetz hatte.
Aber hattest du auch diese Angst vor Ablehnung?
Die Schuld? Ja, das ist, glaube ich, auch so eine Schwierigkeit dabei. Man fühlt sich immer schuldig, wenn man es erzählt. Man muss auch. Man wünscht sich den Support, die Unterstützung der Freunde. Aber gleichzeitig muss man eine gute Miene aufsetzen und die Freunde beruhigen und sagen es ist alles in Ordnung. Und das ist so ein eigenartiges Doppelspiel. Und man sieht dann die Angst der in den Augen der Freunde. Also wenn man immer wieder dieses Ritual, dass "du ich muss dir was sagen" durchspielt. Das war sehr erschöpfend. Man muss die Leute dann beruhigen, obwohl man eigentlich beruhigt werden will. Und natürlich gab es die, sagen wir mal, die, die allerbesten Freunde, die dann mit einem Zyniker kommen und sagen. "Du Trottel, was hast du jetzt wieder aufgeführt?" Aber das gehört halt auch dazu.
Ist das immer noch so? Dieses Gefühl, wenn du jemanden kennenlernst und du dich outest, machst du das überhaupt?
Ja, das mache ich schon. Und da bin ich drauf gekommen. Es hängt sehr viel davon ab, wie man es macht. Es ist natürlich immer ein bisschen eine Abwägung, wie mache ich das jetzt? Wie erzähle ich es, Wie wird die andere Person reagieren? Aber im Grossen und Ganzen gehe ich jetzt sehr locker damit um. Mittlerweile kann ich das sehr gut. Sagen wir mal über überschatten, so dass HIV nebenbei erwähnt wird, als ob es eh selbstverständlich ist.
Ist HIV bei dir jetzt, was es medizinisch ist? Es ist eine chronische Infektion. Du brauchst Medikamente. Sie ist nicht heilbar, aber man kann damit leben. Aber es ist eine chronische Infektion. Das heißt, du gehst immer wieder zu untersuchen. Du hast das immer auf dem Radar.
Ja wegen den Medikamenten. Und das ist das Tückische dran. Ich habe jeden Tag den Alarm, wo ich meine Medikamente nehme.
Was hast du für einen Alarm auf dem Handy? Am Handy?
Einfach einen Wecker, der jeden Tag klingelt.
Immer zur selben Zeit?
Immer zur selben Zeit.
Okay. Und wenn du das Handy jetzt mal verlieren.
Würdest, dann würde ich sowieso nehmen, weil schon nach so vielen Jahren schon so ein Automatismus geworden.
Aus der Forschung weiss man, dass bei vielen Menschen, die die Diagnose kriegen das Sexleben erst einmal schwierig wird.
Ja, es ist eine Zeit lang komplett zusammengebrochen. Und im Endeffekt - ich würde fast immer sagen, ich hatte ein Sextrauma. Ich hatte Angst vor Sex. Ich hatte Angst vor Intimität.
Und weisst du warum? Hattest du vor deiner HIV-Diagnose Angst vor Sex?
Nein, niemals.
Du warst ein selbstbewusstes Männchen, das gerne Sex hat, oder?
Zumindest habe ich das behauptet (lacht). Und da war eher die Angst des Versagens.
Die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter.
Genau! Und nach der Diagnose kam halt die die Panik davor. Nicht unbedingt, dass ich mir jetzt noch etwas einfange, sondern dass ich das jemandem weitergeben könnte. Also diese Angst ist ganz stark. Oder war ganz stark.
Trotz Medikamente?
Trotz Medikamente. Also ich sage immer die Nachweisgrenze kommt im Kopf viel schneller an als im Bauch. Und es dauerte eine Zeit bis ich mich fallen lassen haben konnte.Und wenn im Hinterkopf die ganze Zeit HIV anklopft, dann geht das einfach nicht.
Dann bist du nicht entspannt.
Genau, das war schon lange Zeit ein Problem.
Okay. Wie hast du das gelöst? Hattest du eine Partnerin zu dieser Zeit?
Nein. Zu der Zeit hatte ich keine Partnerin.
Kannst du dich erinnern, als du wieder den ersten erfolgreichen Sex hattest?
Ich kann mich an den ersten, nicht erfolgreichen Sex erinnern!
Gut, das interessiert uns natürlich auch. Das erste Mal war eben nicht erfolgreich, weil diese Ängste immer noch zu stark waren, du immer noch verunsichert warst, oder wie magst du das uns schildern?
Ich sage immer, das waren die längsten zwölf Sekunden meines Lebens.
Oh, zwölf Sekunden.
Weil im Hinterkopf hat mein Kopf geschrien. Und trotz Kondom habe ich mich so unwohl gefühlt. Das war eine ganz fürchterliche Erfahrung. Und da wusste ich auch okay, da muss ich etwas dagegen machen, weil Sex war mir immer schon so wichtig.
Konntest du mit dieser Frau darüber sprechen dann?
Nein, überhaupt nicht.
Ihr seid komisch zusammengekommen und auch ganz komisch auseinandergegangen. Stelle ich mir vor.
Ja, ich bin so schnell wie möglich aus der Wohnung raus. Das ging gar nicht. Da musste ich raus. Da musste ich mir etwas einfallen lassen, weil so kann das nicht weitergehen.
Und was hast du dir einfallen lassen?
Ich bin dann tatsächlich auch einmal zu einer Sexologin. Ich habe mir mal ein paar Schnupperstunden Sexualtherapie gegönnt. Und das hat alles ziemlich lange gedauert. Es war ein Prozess von Monaten, wo ich mich langsam wieder an gewisse Themen herangetastet habe. Und ich habe sehr viel darüber gelesen. Da gibt es ein paar wahnsinnig spannende Bücher, wo man einfach über, sagen wir mal, Lecktechniken lesen kann. Und desto mehr ich solche Sachen gelesen habe, desto mehr Selbstvertrauen habe ich wieder bekommen. Und dann war das so ein Pendelspiel zwischen dem Selbstbewusstsein der Medikamente, dem Selbstbewusstsein meiner selbst. Beruflich geht es wieder ein bisschen bergauf. Ich habe mich gesammelt und da bin ich langsam wieder durch viel Konfrontation wieder in die Sexualität eingetreten.
Selbstbefriedigung war zu dieser Zeit auch weg?
Nein das nicht. Nähe, Intimität, alles was, was mit jemanden anderen zu tun hat, war einfach unmöglich für mich.
Jetzt lebst du seit 2014 mit diesem Virus. Wie geht es dir heute?
Heute geht es mir sehr gut damit. Eigentlich. Nein, nicht eigentlich. Es geht mir sehr gut damit.
Aber es war ein langer Weg.
Es war ein sehr langer Weg. Und es war ein sehr anstrengender Weg.
Du bist ja nicht nur als Fotograf unterwegs. Du bist jetzt auch Aktivist, Du bist Künstler. HIV ist immer noch ein wichtiges Thema in deinem Leben. Wie bist du dazu gekommen?
Es war ein langsamer, aber schon sehr entschlossener Beschluss. Also es kam auch sehr viel aus Wut und Frustration über die generelle Kommunikation über HIV, die noch immer in den 90er festsitzt und dass so wenig Leute darüber wissen. Und ich habe immer wieder so Konversationen mitbekommen, wo ich Zitate gehört habe. «Kann man das durchs Küssen bekommen? Oder: «ich hätte lieber Krebs als HIV.» Und das waren so Sachen, wo ich mir gedacht habe das kann es doch nicht sein.
Also auch jetzt noch in den 2020er hörst du diese Dinge?
Ja, und da kam einfach schon irgendwie so eine Wut oder so ein so ein Frust. Da muss einfach etwas gemacht werden und da komme ich auch immer wieder auf die auf HeteromännerEs gibt homosexuelle Männer, die offen darüber sprechen. Es gibt Frauen, die darüber sprechen. Es gibt keine hetero Männer, die darüber sprechen,
Obwohl auch hetero Männer HIV-positiv sind.
Ganz genau. Ich immer gehört: «Hey, mit HIV kann man ein normales Leben führen.» Aber es gab niemanden, der mir das gezeigt hat.
Ein Vorbild.
Und da habe ich irgendwann beschlossen, ich muss mein eigenes Vorbild sein, ich muss das selber machen, auch mir das selber zu beweisen. Aber irgendwas muss da gemacht werden. Und da habe ich eben ein bisschen recherchiert und habe gesehen, was ihr so macht. Da habe ich mir gedacht Ja, das ist, das ist die die Adresse, Ihr macht, was ihr macht coole Sachen. Da fühle ich mich also nicht nur, da fühle ich mich wohl, aber da könnte ich mir ein bisschen Gehör verschaffen.
Also du hast auf unserer Homepage mal durchgeklickt und geschaut.
Aidshilfen in ganz Europa abgeklappert, um zu sehen, wo. Wo macht es Sinn?
Und so bin ich bei euch gelandet.
Ich meine du warst und bist für uns ein Glücksfall. Im Sinne, dass du darüber sprichst und offen über deinen Status sprichst. Du bist einer, der sagt man kann mit HIV leben. Man kann, aber man muss das Leben vielleicht auch zurückerobern.
Es ist, es ist auch eine gewisse Faszination. Es ist eine Faszination, mit diesem, auch mit diesem Organismus eben aus einer medizinischen Familie kommend, hat das einfach einen gewissen Reiz für mich gehabt, aber auch ihn in soziologischer Hinsicht, weil alle Leute - sagen wir mal in Westeuropa - die HIV haben, haben unterschiedliche Probleme damit. Eine Frau hat unterschiedliche Themen wie ein homosexueller Mann und wie ein heterosexueller Mann. Und es ist so verbindend, aber auch so zerreissend gleichzeitig, weil es eben so unterschiedliche Themengebiete gibt. Und das finde ich, das hat einfach eine Faszination für mich. Auch im Zuge meiner Herausforderungen mit HIV und natürlich auch diese ganzen Themen wie Sexualität und Heteromännern und Männlichkeitskonstrukten. Das sind alles Themen, die sich irgendwie in HIV wiederfinden.
Wie wirst du denn aufgenommen in deiner Hetero Blase?
Also unter meinen Freunden ganz gut.
Aber sprechen die dann auch über ihre Sexualität zum Beispiel? Oder haben die angefangen, über ihre Sexualität nachzudenken? Oder konntest du da wie Anstösse geben oder tauscht ihr euch aus?
Also ich würde sagen ein, zwei Freunde von mir, mit denen ich sehr offen drüber reden kann und sonst nur Freundinnen und auch jetzt, wenn ich mir Social Media anschaue, das sind nur Frauen, die darüber sprechen und darüber schreiben und ich weiss nicht, warum sich Männer da nicht drüber trauen. Da gibt es vielleicht eine handvoll in Deutschland, die sehr offen darüber sprechen. Also das Thema ist noch lange nicht bei hetero Männern angekommen.
Was? Was braucht es denn noch alles?
Ich glaube einfach generell ein lockerer Umgang mit dem Reden über Sexualität.
Aber tun wir das nicht wahnsinnig viel?
Na ja, aber sagen wir mal auf eine sehr veraltete Art und Weise. Und das sehe ich auch bei mir und bei Freunden schon, die ich ewig habe, wo man manchmal in Gespräche abgleitet, die jetzt, sagen wir mal, politisch vollkommen inkorrekt wären.
Salonfähig sind?
Noch immer sehr salonfähig. Und wo ich mich dann selber erwische. Ah okay, so was sollte ich jetzt eigentlich überhaupt nicht mehr sagen.
Und hast du da ein Beispiel?
Lieber nicht on air.
Wir lassen das mal so stehen. Was glaubst du? Wie bringen wir dann die Leute dazu, dass sie mehr über Sexualität sprechen, ohne dass es eben diese oberflächliche "Ach, wir gucken alle Pornos, ach, wir sind alle wahnsinnig befreit. Ja, ich habe auch einen Dildo zu Hause. Was heisst einer? Ich habe zehn zu Hause.» Aber letztendlich sind wir eben doch immer noch ein bisschen von dieser ganzen moralischen Sauce eingetunkt. Und die Religion spielt auch immer noch mit.
Ja, ich glaube das ist genau das Problem. Dass es noch moralisch oder das auch über Versagensängste oder über übers Versagen nicht geredet werden kann, weil der Sex muss ja immer ganz toll und hervorragend und überhaupt sein, dass man sich da manchmal ein bisschen blöd anstellt oder dass es halt nicht so toll ist, Das darf ja irgendwie auch nicht sein.
Oder dass man einfach mal zusammen lachen kann, weil es eben genau nicht so gut klappt. Aber okay, wieso nicht das?
Es ist so humorbefreit.
Total!.
Das Wichtigste ist wahrscheinlich, dass Leute über sich selber lachen können. Und ich glaube, das können Leute immer weniger. Und das bringt mich zurück auf so Freunde nach der Diagnose. Ja, dass gerade die sehr hilfreich waren, die mich dann verarscht haben.
Was meinst du mit verarscht?
Sie sagten: «Hey Christopher, super gemacht.» Die mich dadurch zum Lachen gebracht haben. Einfach um diesen Ernst aus dem Thema zu nehmen.
Was wünschst du dir jetzt für Meschen mit HIV? Was würdest du sofort ändern, wenn du könntest?
Gute Frage. Es braucht irgendwie so viel, aber auch so wenig. Mut. Nämlich auch von Angehörigen, von Ärzte über gewisse, auch unangenehme Themen zu reden. Über sexuell übertragbare Infektionen und da irgendwie einen Raum schaffen, wo man einfach locker drüber reden kann, ohne dass man gleich gegeißelt wird, weil man halt mit mehr als einer Person geschlafen hat oder sonst was. Aber ich glaube, es braucht einfach mehr Austausch.
Mut finde ich ein gutes Schlusswort! Ich danke dir für das interessante Gespräch!
Ich danke dir.
Sprecher: Wie hat dir diese Folge gefallen? Hast du Anregungen oder Fragen dazu? Wir freuen uns, von dir zu hören. Schreib uns an hello@positive-life.ch. Für mehr Storys und Hintergrundinfos. Besuche unsere Website.
Christopher Klettermayer ist Autor, Fotograf und Künstler mit Sitz in Barcelona und Wien. Vor seiner HIV-Diagnose 2014 arbeitete Christopher als Fotograf im Bereich Reportage- und Mode-Fotografie. Seit der Diagnose widmete er sich dem Thema HIV und den gesellschaftlichen und soziologischen Aspekten des Virus, und schreibt – zuerst unter dem Pseudonym Philipp Spiegel – über sein Leben mit HIV, sowie über Sexualität und Männlichkeits-Konstrukte. Seit Herbst 2021 verfolgt Christopher zudem eine Weiterbildung als Sexual-Berater.
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