«In der Schweiz müsste ich keine Angst haben»
Einst kümmerte sich Espérance Ndyishimiye in Burundi um andere Menschen mit HIV. Nun bangt die Pflegefachfrau um ihre eigene Zukunft. Espérance trägt ihre dunklen Haare kurz geschnitten, grosse Ohrringe und einen leuchtend roten Pullover. Sie grüsst mit einem fröhlichen Lachen. Man merkt nicht, wie beängstigend ungewiss ihre Zukunft ist und wie fragil der Boden, auf dem sie steht.

Porträt von Claudia Langenegger
Die 48-jährige Pflegefachfrau ist vor zweieinhalb Jahren aus Burundi in die Schweiz geflüchtet. In ihrer Heimat leitete sie im öffentlichen Spital der Hauptstadt Gitega die Abteilung für HIV-Patient:innen. «Ich habe ein gutes Leben geführt, mit einer festen Anstellung. Ich war nicht reich, aber auch nicht arm», erzählt sie. Und doch sah sie irgendwann die Flucht als ihren einzigen Ausweg.
Die Situation ist vertrackt: Espérance wollte ihrem Vater, der 1993 in den Wirren des Bürgerkriegs erschossen worden war, ein würdevolles Grab verschaffen. Damit wurde sie zur Zielscheibe ethnischer Feindseligkeiten. «Es war, als hätte ich damit die Hutu provoziert. Ich wollte bloss ein Grab für meinen Vater, der verscharrt in der Erde liegt.» Espérance, eine Tutsi, wurde bedroht, angegriffen und auf der Strasse attackiert. «Ich habe Angst gekriegt. Irgendwann wusste ich: Ich muss hier weg.» Fort aus dem kleinsten Staat Afrikas, der zu den ärmsten Ländern weltweit gehört.
Die zweifache Mutter lebt seit 2000 mit HIV. In ihrer Heimat wissen nur drei Menschen von ihrem seropositiven Status: ihre Mutter, ihre jüngere Schwester und ihre ältere Tochter, 24 Jahre alt. «In Burundi kann ich es nicht einmal meinen Kollegen im Spital sagen», erzählt Espérance. «Wer HIV hat, wird ausgestossen und gemieden. Von der Familie, beim Job, von der Gesellschaft.»
Ganz anders sieht es für sie in der Schweiz aus: Hier geht Espérance offen mit HIV um. «In einem Integrationskurs zum Thema sexuelle Gesundheit in Bern habe ich mich geoutet und gesagt, dass man mich alles dazu fragen kann.» Sie wurde bald in der Prävention aktiv, gab Kurse in Asylzentren und an der Hochschule in Biel und war als Mediatorin bei der Aids Hilfe Bern tätig.
Im März wurde ihr Asylantrag jedoch abgelehnt. «Zurück, das geht nicht», sagt sie. «Das bedeutet den Tod.» Es ist äusserst ungewiss, ob in Burundi zukünftig antiretrovirale Medikamente erhältlich sein werden – der Wegfall der US-Fördergelder für UNAIDS trifft das Land hart. So oder so wird Espérance in ihrer Heimat keinen Zugang mehr zur Therapie haben: Eine private Versicherung kann sie sich nicht leisten. Nur im öffentlichen Dienst würde sie wieder eine Krankenversicherung erhalten. Doch der Staat wird sie nicht mehr anstellen, er ist im Krieg mit ihr.
Nachtrag: Bei Redaktionsschluss musste Espérance die Schweiz verlassen.