Trans Personen mit HIV im Gesundheitswesen

Eine verheerende Mischung aus Vorurteilen, Diskriminierung, fehlendem Wissen und Vertretung macht es trans Personen, die mit HIV leben, oft besonders schwierig, sich um ihre Gesundheit zu kümmern. Community-geführte Programme und ein grösseres Bewusstsein für die Thematik bei Fachpersonen könnten das Problem längerfristig lösen.

Sandro Niederer, Aids-Hilfe Schweiz

 

Wer ist trans?

Bei der Geburt ordnen wir Menschen aufgrund ihrer Genitalien systematisch einem binären Geschlecht zu. Im Lauf des Lebens entdeckt jede Person ihre ganz individuelle Geschlechtsidentität. Trans* werden bei der Geburt einem Geschlecht zugeordnet, das nicht oder nur teilweise ihrer Geschlechtsidentität entspricht. Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, dem sie bei der Geburt zugeordnet wurden, sind cis. Manche trans Personen sind Frauen, manche Männer und manche sind nicht-binär. Ihre Geschlechtsidentität liegt nicht ausschliesslich in den binären Kategorien von Mann oder Frau. Manche, aber nicht alle trans Personen transitionieren. Sie ändern also zum Beispiel ihren Namen, ihr amtliches Geschlecht, nehmen Hormone oder unterziehen sich Operationen. Jede Transition ist sehr individuell.

Diskriminierung erhöht Risiken

Trans Personen leben aufgrund einer Vielzahl von Faktoren überproportional häufig mit HIV. Auf gesell- schaftlicher Ebene tragen Diskriminierung, Stigmatisierung und Marginalisierung zu einer veränderten und eingeschränkten Teilhabe an der Gesellschaft bei. Ausgrenzung am Arbeitsplatz, in der Familie oder im erweiterten sozialen Umfeld stellen keine Seltenheit dar. Fehlendes Bewusstsein für die Existenz und Lebensrealitäten von trans Personen in medizinischen und präventiven Bereichen führt dazu, dass es für trans Personen besonders schwierig ist, das Wissen zu erwerben, wie sie sich zuverlässig vor HIV schützen können. Dazu kommt, dass viele, aber nicht alle trans Personen ein starkes Unwohlsein in Bezug auf ihren Körper erleben, das die Selbstfürsorge einschränken kann, so auch den Schutz vor HIV. In Kombination mit der Belastung durch gesellschaftliche Diskriminierung und deren Auswirkung auf die Psyche kann dies den Selbstschutz und die Selbstfürsorge von trans Personen negativ beeinflussen. Neben individuellen Faktoren tragen also fehlende Aufklärung und Prävention, eine schlechte psychische Gesundheit, verinnerlichte, diskriminierende Grundsätze und ein erhöhtes Risiko für sexualisierte Gewalt zu einer möglichen HIV-Infektion bei.

Intersektionalität

Trans Menschen mit HIV erleben eine besondere Intersektionalität. Intersektionalität bedeutet, dass trans Menschen mit HIV nicht nur Diskriminierung aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, sondern auch aufgrund ihres HIV-Status erleben. Besonders perfide ist also, dass trans Personen auch innerhalb von trans Communitys negative Erfahrungen aufgrund ihres HIV-Status und vice versa machen. Auch in Räumen, die von Menschen mit HIV geprägt sind, erleben trans Personen mit HIV Diskriminierung aufgrund ihrer Geschlechtsidentität.

Trans Personen im Gesundheitswesen

Wer als trans Person mit HIV lebt und sich im Gesundheitswesen bewegt, bemerkt oft ausgesprochen schnell: In den Köpfen von medizinischem Fachpersonal herrschen im besten Fall grosse Fragezeichen und viele Unklarheiten, im schlechtesten Fall führen negative Vorurteile das Zepter. Erstaunlich ist dies nicht. Fehlende Repräsentation von trans Personen in der Gesellschaft führt oft dazu, dass die Lebensrealitäten von trans Personen sehr eindimensional oder gar nicht wahrgenommen werden. 
Wer eine medizinische Fachperson aufsucht, wünscht sich Rat und Gehör. Für trans Personen, die mit HIV leben, sieht die Realität oft anders aus. Sie verbringen einen substanziellen Teil ihres Termins damit, ihr Gegenüber aufzuklären und zu informieren, ohne dabei die Zeit für die eigentliche Konsultation nutzen zu können. Sie leisten ungefragt und gratis Aufklärungsarbeit. Im besten Fall stossen sie dabei auf offene und interessierte Ohren, allzu oft sind solche Informationsversuche jedoch von unangemessenen und medizinisch irrelevanten Fragen geprägt und schädigen das Vertrauen gegenüber der Fachperson. Vorurteile trüben die Konsultation und führen zu Misstrauen – oft mit der Konsequenz, dass trans Personen keine oder nur eine unzureichende Beziehung zum medizinischen Fachpersonal aufbauen und sich bei gesundheitlichen Problemen erst spät oder gar nicht in Behandlung begeben. 
Währenddessen fühlen sich Fachpersonen mit der Situation oft überfordert. Ihnen fehlt die Sprache, um medizinisch relevante Fragen proaktiv formulieren zu können, und das Hintergrundwissen, um selbst bestimmen zu können, wann und wie die trans Identität eine:r Patient:in relevant für die Konsultation sein könnte. Erschwert wird ihnen dies zusätzlich durch die magere Datenlage und die fehlende Aufbereitung der Thematik für den Arbeitsalltag. Gerade über die körperlichen Auswirkungen einer Transition und deren medizinische Konsequenzen ist kaum Wissen einfach zugänglich aufbereitet. Was eine umso bessere Beziehung und Verständigung zwischen medizinischem Fachpersonal und trans Menschen erfordert. 
Aufgrund der Benachteiligung von trans Personen am Arbeitsmarkt sind trans Personen überproportional häufig von finanziellen Engpässen betroffen. Selbstbehalte, undurchsichtige Kostenkalkulationen sowie Beratungen und Behandlungen, die nicht von der Krankenkasse getragen werden, stellen für sie oft eine besonders grosse Belastung dar.

Communitys erreichen

Gerade für trans Personen, die mit dem medizinischen System wenig vertraut sind, ist es schwer, eine passende Anlaufstelle zu finden. Fehlende Verknüpfungen der medizinischen Institutionen und Organisationen für Menschen mit HIV mit den trans Communitys schafft eine unnötige weitere Hürde im Zugang.

Sichtbarkeit und Vernetzung

Als massgebender Erfolgsfaktor für trans Personen, die mit HIV leben, kristallisiert sich neben einem barrierearmen Zugang zum Gesundheitssystem und einer trans freundlichen medizinischen Betreuung die Sichtbarkeit anderer von HIV betroffener trans Personen heraus. Gerade innerhalb von trans Communitys kann das Wissen, von anderen Personen umgeben zu sein, die teilweise ähnliche Lebensrealitäten teilen, eine grosse Erleichterung bringen.

Gender und Erwartungen

Wenig diskutiert wird die Verknüpfung der Geschlechtsidentität einer Person mit deren Umgang mit Gesundheit und Erkrankungen. Gerade von männlich gelesenen Menschen wird häufig erwartet, dass sie nicht über ihre Gesundheit und Bedürfnisse sprechen und «hart im Nehmen» sind. Das kann im Zusammenhang mit HIV zu einer zusätzlichen Belastung führen. Demgegenüber werden weiblich gelesene Personen häufig weniger ernst genommen und haben es schwerer, sich Gehör zu verschaffen. Zusätzlich erleben trans Personen oft, dass die Pathologisierung ihrer Geschlechtsidentität dazu beiträgt, dass ihre (medizinischen) Anliegen weniger ernst genommen werden.

 

Tipps für den Alltag

Es braucht gesamtgesellschaftliche Veränderungen und politischen Willen, um die Lebensqualität von trans Menschen zu verbessern. Aber im direkten Umgang mit trans Personen können dazu alle ihren Beitrag leisten. Hier sind wichtige Tipps, vor allem, aber nicht nur für medizinische Fachpersonen:

  • Verwenden Sie die gewünschte Anrede, Namen und Pronomen und vermerken Sie diese, wenn möglich.
  • Informieren sie sich bei Community- geführten Fachorganisationen.
  • Stellen Sie nur medizinisch relevante Fragen. Erklären Sie, wieso diese relevant sind.
  • Gehen Sie offen mit ihrer Unsicherheit um.

Fokussieren Sie sich auf das, was die Person besprechen möchte.