Yannick - ein Social-Media-Pionier über das Leben mit HIV

Eines Morgens im Juli 2023 klingelt bei Yannick das Telefon. Der Arzt am anderen Ende der Leitung überbringt ihm die Nachricht, die sein Leben verändert. Sein HIV-Test ist positiv. Nach einem Monat des vollständigen Rückzugs beginnt Yannick auf Social Media über sein Leben mit HIV zu sprechen. Und stösst dabei auf grosses Interesse. Mittlerweile hat sein TikTok-Kanal yannick_y rund 40 000 Follower:innen. Es ist die bewegende Geschichte eines HIV-Aktivisten aus der Romandie, der für eine neue Generation steht.

Raus aus der Isolation

Als ihn sein Arzt per Telefon über seinen positiven HIV-Status informiert, fühlt sich Yannick allein gelassen. «Mein Arzt hat mich überhaupt nicht über HIV aufgeklärt», sagt Yannick mit nachdenklichem Blick. Im ersten Monat nach der Diagnose fällt er in ein tiefes Loch, möchte niemanden treffen. «Es war eine Mischung aus Trauer, Wut, Schuld und Angst», so Yannick über die Achterbahnfahrt der Gefühle nach der Diagnose. Es sind die vielfach kritisierten sozialen Medien, die Yannick hilfreiche Informationen über HIV geben, ihm Unterstützung in dieser schwierigen Lebenssituation bieten. «Ein mit HIV lebender TikToker aus Frankreich ist eines Tages in meinem Newsfeed erschienen.» Aus dem Mut des französischen TikTokers schöpft Yannick die Kraft, ebenfalls in sozialen Medien über sein Leben mit HIV zu sprechen. «Ich sagte mir, wenn mir jemand durch TikTok-Videos geholfen hat, dann kann auch ich anderen helfen.» Gesagt, getan. Yannick wird zum Pionier. Er ist der Erste, der in der Schweiz auf sozialen Medien wie TikTok und Instagram mit einer derartigen Reichweite über sein Leben mit HIV spricht. Und das klingt dann so: «Vor einem Monat bin ich positiv auf HIV getestet worden und heute möchte ich euch erzählen, welche Symptome ich hatte.» Differenziert und sachkundig schildert Yannick die Beschwerden seiner Primoinfektion. Gleichzeitig weist er daraufhin, dass die meisten Menschen nach einer HIV-Infektion keine Symptome verspüren. Trotz des Erfolgs auf TikTok und Instagram bleibt er sozialen Medien gegenüber vorsichtig. «Soziale Medien können sehr nützlich sein, aber auch katastrophal», so Yannick, der über die Desinformation auf den sozialen Medien spricht. Das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft sei sehr gross. «Es gibt Personen, die zur HIV-Therapie Eukalyptus statt antiretroviraler Medikamente empfehlen.» Der Desinformation wirkt Yannick mit musikalisch untermalten Kurzvideos entgegen. Er erklärt, was «undetectable» bedeutet, welche Diskriminierungserfahrungen Menschen mit HIV machen, und liefert Einblicke in sein Privatleben.

Aufgewachsen zwischen Kühen und Hühnern

Yannick wächst auf einem Bauernhof in der Nähe des freiburgischen Romont auf. Gemeinsam mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder geniesst er das naturverbundene Leben, umgeben von Kühen und Hühnern. Als er älter wird, prägen jedoch Diskriminierungserfahrungen seinen Alltag. Als queere Person wird Yannick in der Schule täglich beschimpft. «Wegen meiner langen Haare und weil ich gern mit Barbie spielte, musste ich mir seit meiner Kindheit homophobe Beleidigungen anhören.» Der heute 22-jährige Romand nimmt dies als Anlass, um anderen Menschen gegenüber stets respektvoll aufzutreten. «Seit meiner Jugend habe ich immer Werte wie Respekt und Toleranz gegenüber allen Menschen vertreten.» Im Alter von 18 Jahren stirbt sein Vater – für Yannick ein Wendepunkt. Er entscheidet sich, für einen Sprachaufenthalt ein Jahr nach Brasilien zu gehen und sein Leben zu leben. Brasilien sei für seine Entwicklung als queere Person ein Meilenstein gewesen, sagt Yannick strahlend. In Rio de Janeiro sah er das erste Mal ein queeres Paar Händchen halten und Zärtlichkeiten austauschen. Auch wenn die Schweiz als offenes Land gelte, so sei dies hierzulande auch in den grösseren Städten sehr selten. In Brasilien seien Heteros und queere Person viel durchmischter. «Brasilien hat mir extrem geholfen, mich zu öffnen.» Aber seit Brasilien wisse er auch nicht mehr so genau, wohin in seinem Leben, so Yannick lachend. Zurzeit arbeitet der gelernte Kaufmann Vollzeit für ein amerikanisches Fast-Food-Unternehmen. «Ich nehme mir ein wenig Zeit, um zu schauen, wie mein Weg weitergeht.»

Neuorientierung beim Dating

«Nach meiner Diagnose habe ich alle meine Dating-Apps gelöscht», sagt Yannick. Dass er dabei lacht, zeigt, dass er bereits Distanz zu dieser Lebensphase gewonnen hat. Er brauchte Zeit, um sich zurückzuziehen und neu zu orientieren. «Weil ich auf TikTok und Instagram über mein Leben mit HIV spreche, fühle ich mich bei neuen Bekanntschaften dazu verpflichtet, meinen HIV-Status von Beginn an offenzulegen.» Er wisse aber, dass dies freiwillig sei. Natürlich sei sein HIV-Status eine zusätzliche Herausforderung, aber auch ein guter Filter: «Die Menschen, die jemanden aufgrund seines HIV-Status nicht akzeptieren, sind sowieso nicht gemacht für mich.» Mit dieser neuen Einstellung stürzt sich Yannick nach einer kurzen Auszeit wieder in das Abenteuer Dating. Unbeeindruckt von möglicher Ablehnung gibt Yannick seinen HIV-Status in der Dating-App an: «Ich frage die Leute, ob sie mein Profil gut gelesen haben, bevor ich auf ein Date gehe.»

Resilienz als Charaktereigenschaft

Resilienz ist die Fähigkeit, gestärkt und widerstandsfähig aus Rückschlägen und negativen Erfahrungen hervorzugehen. Wer sich mit Yannicks Biografie auseinandersetzt, erkennt, dass sich diese Eigenschaft wie ein roter Faden durch sein Leben zieht. Homophobe Diskriminierungserfahrungen bestärken Yannick darin, Werte wie Respekt und Toleranz gegenüber allen Menschen zu leben. Auf den Tod seines Vaters reagiert der junge Romand mit einer Reise nach Brasilien, die seine Identität als queere Person festigt. Nach seiner HIV-Diagnose engagiert sich Yannick in den sozialen Medien für andere Menschen mit HIV, informiert, unterstützt und macht ihnen Mut. Mögliche Ablehnungen bei Dates sieht er als Chance, um Menschen, die nicht für ihn gemacht sind, aus dem Weg zu gehen. «Ich will, dass es normal wird, über HIV zu sprechen», so Yannick. Die sozialen Medien nutzt er dazu, möglichst viele Leute zu erreichen. «Mein Ziel ist es, so viel wie möglich über HIV zu sprechen und den Menschen zu zeigen, dass man sich dafür nicht schämen muss.» Die Kommentare zu seinen Videos auf TikTok und Instagram sind mehrheitlich positiv. Viele bedanken sich, stellen Fragen. Mit einigen pflegt Yannick täglich Kontakt, hat sich mit ihnen angefreundet. Es sind Menschen, verteilt über den ganzen Globus, nicht wenige sprechen mit niemandem über ihren HIV-Status – ausser mit Yannick. «Wenn ich nur einer Person mit meinen Videos helfe, bedeutet das alles für mich.» Wie seine Reise weitergeht? Er wolle mehr Menschen erreichen, Videos in vielen verschiedenen Sprachen veröffentlichen. «Die Dämonisierung von HIV muss aufhören.» Dafür kämpft Yannick als aufblühender Social-Media-Aktivist. «Soft Activist», wie sich Yannick schmunzelnd selbst bezeichnet.