Gewichtszunahme wegen der HIV-Medikamente?

Ein vieldiskutiertes Thema in der HIV-Forschung ist die Frage, ob bestimmte HIV-Medikamente zu einer Gewichtszunahme führen. Tatsächlich weisen verschiedene Untersuchungen darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen der Einnahme der HIV-Medikamente Tenofovir-Alafenamid und Dolutegravir und Gewichtszunahme gibt.

Die Resultate zu diesem Thema waren jedoch schwierig zu interpretieren, da nur eine kleine Anzahl Patient:innen eingeschlossen wurde und die Studien auf ein einziges Land beschränkt waren. Zudem wurde in diesen Studien Tenofovir-Alafenamid und Dolutegravir häufig gleichzeitig eingesetzt, so dass die individuelle Wirkung der antiretroviralen Medikamente auf die Gewichtsdynamik nicht schlüssig untersucht werden konnte.

Das Ziel der Studie war deshalb, den individuellen Effekt verschiedener HIV-Medikamente inklusive Tenofovir-Alafenamid und Dolutegravir auf den Body Mass Index (BMI) zu untersuchen – mit mehr Menschen aus mehr Ländern.

Insgesamt wurden in der Studie die Daten von 14 703 Personen analysiert, von denen 7863 (54 %) einen Anstieg des BMI von mehr als 7 % aufwiesen.
Im Vergleich zu Lamivudin, welches nachweislich keinen Gewichtsanstieg macht, war die Einnahme von Dolutegravir, Raltegravir und Tenofovir-Alafenamid signifikant mit einem Anstieg des BMI um mehr als 7% verbunden. Zudem zeigte sich, dass im Vergleich zu Lamivudin sowohl Dolutegravir als auch Tenofovir-Alafenamid mit einem Anstieg des BMI um mehr als 7% verbunden blieb, auch wenn die beiden Substanzen nicht zusammen kombiniert wurden. Allerdings war die Zunahme des BMI umso grösser, wenn Dolutegravir und Tenofovir-Alafenamid gleichzeitig eingenommen wurden.

Im klinischen Alltag wird Tenofovir-Alafenamid zunehmend anstelle von Tenofovir-Disoproxilfumarat eingesetzt und häufig zusammen mit Dolutegravir verschrieben. Die Studie hat gezeigt, dass sowohl Tenofovir-Alafenamid und Dolutegravir unabhängig voneinander mit einem Anstieg des BMI verbunden sind und sich das bei gleichzeitiger Einnahme beider Medikamente noch verstärkt.

Eine Gewichtszunahme kann zu Insulinresistenz, Anstieg der Cholesterinwerte und Bluthochdruck führen. Zukünftige Studien müssen nun untersuchen, ob die Gewichtszunahme in Zusammenhang mit antiretroviralen Medikamenten auch zu einem erhöhten Risiko für Herzkreislauferkrankungen führt.

Auch noch unklar ist, ob Tenofovir-Alafenamid tatsächlich zu einem Gewichtsanstieg führt. Es könnte auch sein, dass sein Vorgänger Tenofovir-Disoproxilfumarat einfach einen gewichtsunterdrückenden Effekt aufweist – und dieser Effekt bei der Umstellung auf Tenofovir-Alafenamid wegfällt.

Moderne antiretrovirale Medikamente und Gewichtszunahme: eine Studie des RESPOND-Kohortenkonsortiums, 29.6.22, DOI: 10.1016/S2352-3018(21)00163-6. Eine Studie des RESPOND Kohortenkonsortiums, die Daten aus 17 Kohorten und über 29 000 Menschen mit HIV umfasst. Die Schweizerische Kohortenstudie (SHCS) ist ebenfalls Teil von RESPOND.


Schweizerische HIV-Kohortenstudie (SHCS)

Was ist eine Kohortenstudie?
Eine Kohorte ist eine Personengruppe, die ein gemeinsames, längerfristig prägendes Ereignis erlebt hat. Die HIV-Kohortenstudie umfasst Menschen mit HIV in der Schweiz.

Was macht die SHCS?
Die SHCS ist eine Zusammenarbeit aus Spitälern und behandelnden Ärzt: innen, die Menschen mit HIV betreuen. Die SHCS hat seit 1988 über 19 000 Menschen mit HIV begleitet, ihre Daten zur Gesundheit gesammelt und in wissenschaftlichen Studien ausgewertet.

Warum Daten sammeln?
Die Forschung hat das Ziel, die Lebensqualität von Menschen mit HIV zu erhöhen. Behandelnde Ärzt:innen können dank den Forschungsergebnissen die HIV-Therapie verbessern, zum Beispiel bezüglich Verringerung von Nebenwirkungen. Aber auch Bedürfnisse bezüglich psychischer Gesundheit werden sichtbarer. Durch eine Beteiligung an der SHCS leisten Menschen mit HIV einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der medizinischen Versorgung – für sich und andere.