Bleiben Sie mit uns in Kontakt!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.

Bleiben Sie mit uns in Kontakt!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.

Die unterschätzten Folgen von Mikroaggressionen

Menschen mit HIV sind immer wieder Mikroaggressionen ausgesetzt, wobei diese oft verharmlost werden. Um Diskriminierung und ihre schwerwiegenden Folgen zu verhindern, ist es einerseits wichtig, diese zu erkennen und zu benennen und andererseits, dass Betroffene Umgangsstrategien entwickeln.

Anja Glover | November 2023

In den letzten Jahrzehnten hat die Medizin bedeutende Fortschritte bei der Behandlung von Menschen mit HIV gemacht. Wo es gesellschaftlich aber kaum vorwärtsgeht, ist in Bezug auf die Diskriminierung von Menschen mit HIV. So erzählen Betroffene immer wieder von Mikroaggressionen, denen sie ausgesetzt sind. Dabei handelt es sich um subtile, oft unbewusste Handlungen oder Bemerkungen, die Vorurteile und negative Stereotypen aufgrund von Faktoren wie Geschlecht, Rassialisierung, sexueller Orientierung, Glauben oder anderen Faktoren wie beispielsweise Krankheiten zum Ausdruck bringen. Oftmals werden sie verharmlost, weil eine einzelne Mikroaggression von der ausübenden Person als nicht bewusst, «gut gemeint» oder «nicht so schlimm» betrachtet wird. Dabei wird ignoriert, inwiefern sie tiefgreifende und verletzende Auswirkungen für Betroffene haben. Mikroaggressionen verhalten sich ähnlich wie Schneeflocken auf einem Baumast: Der einzelne Schmerz mag zwar tragbar sein, ihr wiederholtes Erscheinen aber führt zu einer zu starken Belastung, sodass sie irgendeinmal nicht mehr tragbar sind. Etwa wie ein Baumast auf dem ganz viel Schnee liegt: mit der Zeit wird er immer schwächer, bis er letztlich bricht.

Unsensible Fragen und stereo­type Vorstellungen

Mikroaggressionen gegen Menschen mit HIV können in allen Bereichen des Lebens auftreten und manifestieren sich in verschiedenen Formen. Sie sind oft schwer zu identifizieren, da sie sich hinter vermeintlich harmlosen Fragen, Aussagen oder Handlungen verstecken. Eine der häufigsten ist die Stigmatisierung durch unsensible Fragen wie «Wie hast du dich angesteckt?» oder «Hast du es von deiner Mutter geerbt?». Solche Fragen suggerieren, dass die HIV-Infektion das Ergebnis von riskantem Verhalten oder einer familiären Übertragung sein muss, anstatt HIV als eine mögliche Krankheit zu akzeptieren, die jeden Menschen treffen kann.

Eine weitere Form von Mikroaggressionen sind ungebetene Ratschläge oder Urteile über das Verhalten oder die Lebensweise von Menschen mit HIV. Oder aber, wenn Menschen mit HIV bemitleidet oder anders behandelt werden als Menschen ohne HIV. Offensichtlich abfällige Bemerkungen gehören ebenfalls zu Mikroaggressionen. Zusätzlich kommt es vor, dass Menschen den körperlichen Kontakt zu Menschen mit HIV aus Angst vor einer Ansteckung meiden. Mikroaggressionen reduzieren Betroffene auf deren Krankheit, als ob diese ihre Identität ausmachen würde. Dabei werden ihre Interessen und Eigenschaften ignoriert. Mikroaggressionen führen dazu, dass sich die betroffenen Personen ausgegrenzt und isoliert fühlen. Gleichzeitig tragen sie zur Stigmatisierung von Menschen mit HIV bei und verhindern, dass diese offen über ihre Gesundheit sprechen können.

Schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen

Wie der Name andeutet, scheinen Mikroaggressionen klein zu sein, aber im Laufe der Zeit können sie einen schädlichen Einfluss auf die Erfahrung, die körperliche Gesundheit und das psychische Wohlbefinden eines Menschen haben. Forschungen deuten darauf hin, dass diese subtilen Formen der zwischemenschlichen Diskriminierung mindestens genauso schädlich sind wie offenere Formen der Diskriminierung. Mikroaggressionen sind also nicht einfach nur «unan­genehme Momente» im Leben von Betroffenen. Sie treten auch nicht selten auf, sie werden viel eher nur selten erkannt. Und obwohl sie unbewusst oder unscheinbar wirken mögen, können sie schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen für die Betroffenen haben. Besonders traumatisierend sind Mikroaggressionen, wenn sie an Orten oder in Situationen vorkommen, wo dies nicht erwartet wird, wie beispielsweise im Gesundheitsbereich, wo ihnen eigentlich geholfen und Schutz geboten werden sollte. Studien haben gezeigt, dass Menschen mit HIV von medizinischem Personal oft schlecht behandelt werden, was dazu führen kann, dass sich die Betroffenen unsicher und unverstanden fühlen, sobald sie medizinische Hilfe suchen.

Anja Glover

Soziologin und Rassismus-Expertin