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Diskriminierung im Gesundheitsbereich ist heilbar

Florent Jouinot, Aids-Hilfe Schweiz Dezember 2023 Auch wenn die Behandlung heute so weit ist, dass Menschen mit HIV lange gesund leben können, ohne dass ein Risiko besteht, das Virus zu übertragen, sind sie leider immer noch allzu oft Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt, auch im Gesundheitswesen. Aber das muss nicht sein. Die Forschung hält Hilfsmittel für ein besseres Verständnis und Handlungsoptionen bereit.

Die von der Aids-Hilfe Schweiz durchgeführte Diskriminierungsbeobachtung aufgrund des HIV-Status zeigt, dass auch heute noch Menschen mit HIV täglich Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt sind. Die Hälfte der aufgezeigten Vorfälle ereignete sich im Gesundheitswesen. Sicherlich machen diese Daten nur einen kleinen Teil der bestehenden Situationen aus. Dennoch stimmen die Ergebnisse mit anderen einschlägigen Quellen überein. So gab 2017 in einer europäischen Umfrage unter Menschen mit HIV fast ein Drittel von ihnen an, in den vergangenen drei Jahren Diskriminierung aufgrund ihres HIV ausgesetzt gewesen zu sein. In der Studie von Christiana Nöstlinger und ihrem Forschungsteam geben die Menschen an, dass sich mehr als die Hälfte der Vorfälle im Gesundheits­bereich ereignete. Von in der Schweiz wohnhaften Personen war fast ein Viertel Diskriminierung im Gesundheitswesen ausgesetzt. Die 2022 vom ECDC durchgeführte Stigma-Umfrage unter Menschen mit HIV zeigt, dass sich solche Situationen auf die Inanspruchnahme medizinischer Versorgung auswirkt: Die Menschen haben Angst, dass sie vom medizinischen Personal anders oder gar schlecht behandelt werden oder ihnen eine Versorgung verweigert wird. Auch haben sie Angst, dass ihr Status offengelegt wird, wenn sie einen Gesundheitsdienst konsultieren.

UNAIDS (Gemeinsames Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids) definiert Stigmatisierung und Diskriminierung aufgrund des HIV-Status als einen Prozess der Abwertung von Menschen mit HIV oder von Menschen, die mit dem Virus in Verbindung stehen. Diskriminierung folgt der Stigmatisierung und zeichnet sich durch eine ungleiche, unfaire Behandlung von Menschen aufgrund ihres tatsächlichen oder wahrgenommenen HIV-Status aus.

Etymologisch und historisch verweist der Begriff «Stigma» auf ein Kennzeichen, mit dem bestimmte Menschen versehen wurden, um sie erkennen zu können und sie einer niedrigeren sozialen Schicht zuzuweisen. Der amerikanische Soziologe Erving Goffman theoretisierte das Phänomen ab 1963 und unterschied sichtbare Stigmata von unsichtbaren, stigmatisierten Menschen und stigmatisierbare Menschen. Im Gegensatz zur Hautfarbe oder zum Körpergewicht ist der HIV- Status unsichtbar. Der betreffende Mensch befindet sich damit im Dilemma der Offenlegung («Outing»). Sich nicht zu outen, ermöglicht es, Stigmatisierung zu vermeiden, zwingt aber auch zur Geheimhaltung und führt zur ständigen Angst, entdeckt zu werden. Sich zu outen bedeutet, das Risiko einzugehen, von denjenigen stigmatisiert zu werden, denen man sich anvertraut hat, aber auch von allen, denen die Information offengelegt wurde.

Stigmatisierung und Diskriminierung in Verbindung mit dem HIV-Status sind oft intersektional. Da dieses Virus am häufigsten beim Sexualverkehr oder bei der gemeinsamen Benutzung von Spritz­bestecken übertragen wird, sind Menschen mit HIV mit Grundannahmen, Fragen und moralischen Urteilen in Bezug auf Sexualität und Konsum von Substanzen konfrontiert. Da die Epidemie insbesondere bestimmte Bevölkerungsgruppen betrifft, überlappen sich Stigmatisierung und Diskriminierung in Verbindung mit dem HIV-Status mit anderen. So sind Frauen, Transgender, Männer, die Sex mit Männern haben, und/oder Menschen mit dunkler Hautfarbe, die Substanzen konsumieren und mit HIV leben, besonders der Stigmatisierung aufgrund ihres serologischen Status ausgesetzt.

Stigmatisierung und Diskriminierung in Verbindung mit dem HIV-Status haben direkte Auswirkungen auf Menschen mit HIV. Schuld- und Schamgefühle, Angst oder auch Gewalt, die sich gegen sie richtet oder die sie miterleben, wirken sich auf Körper und Seele von Menschen mit HIV aus. Dies beeinflusst ihr Selbstbild und ihre Selbstachtung, gibt ihnen das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben, und verschlechtert letztendlich ihre seelische, körperliche und soziale Gesundheit. Auch im Gesundheitsbereich können die direkten Auswirkungen extrem schädlich sein. Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung kann Menschen mit HIV dazu bringen, auf Gesundheitsversorgung zu verzichten oder ihren serologischen Status nicht offenzulegen. Entsprechend können Menschen mit HIV dann nicht die Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen, die sie benötigen, und das Gesundheitspersonal kann ihnen keine angemessenen Qualitätsleistungen anbieten.

Forschungen haben die Ursachen und Mechanismen von Stigmatisierung und Diskriminierung aufgrund des HIV-Status aufgezeigt. Hierdurch konnten Massnahmen definiert werden, um diesem Phänomenen künftig vorzubeugen, damit Menschen gut mit HIV leben und auf ihre Gesundheit achten können.

Risk Management

Der HIV-Status sollte nur abgefragt werden, wenn dies relevant ist. Wenn dies nicht relevant ist, besteht keine Verpflichtung, den eigenen HIV-Status offenzulegen. Darüber hinaus sollten Informationen, die Rückschlüsse auf den HIV-Status zulassen, geschützt werden und nur Personen zugänglich sein, die sie benötigen. Angaben zum HIV-Status sollten keinesfalls in den Verwaltungsdaten aufgeführt oder in
Bereichen angezeigt werden, die Dritten zugänglich sind (Krankenzimmer, Personalpausenraum etc.). Im Zweifelsfall kann verlangt werden, dass diese Information nicht gespeichert wird. Auch kann verlangt werden, dass sie gelöscht wird.

Menschen mit HIV sollten in denselben Einrichtungen und Zeitfenstern empfangen werden können wie Menschen ohne HIV.

Fear Management

Sich über die Übertragung von HIV zu informieren, ermöglicht es, den Mangel an Wissen zu beheben, der Stigmatisierung und Diskriminierung zugrunde liegt und zu unbegründeten Ängsten führt. Die Schutzmassnahmen sollten unabhängig vom HIV-Status dieselben sein, und alle sollten Zugang zur benötigten medizinischen Versorgung haben. Die Verweigerung einer medizinischen Versorgung ist nicht akzeptabel.

Wenn befürchtet wird, in einem Gesundheitsdienst Diskriminierung ausgesetzt zu werden, ist es möglich, sich an einen auf HIV spezialisierten Dienst oder an einen gemeinnützigen Dienst für stark gefährdete Bevölkerungsgruppen zu wenden, etwa Checkpoints für homosexuelle Männer, Bi-Männer und andere Männer, die Sex mit Männern haben. Studien zeigen, dass diese Dienste meist geeignet für Menschen mit HIV sind. Auch wenn sie nicht selbst ein Angebot zur Verfügung stellen, können sie auf einen friendly Anbieter in der Region verweisen.

Moral Management

Alle sollten ihre Vorstellungen in Bezug auf HIV und Menschen mit HIV hinterfragen, so wie wir es in Bezug auf jeden Aspekt tun sollten, der zu Diskriminierung führen kann (Geschlecht/Gender, sexuelle Orientierung, ethnische oder kulturelle Zugehörigkeit, soziale Schicht, körperliche und intellektuelle Fähigkeiten etc.). Tun wir dies nicht, werden unsere Vorurteile unsere Beziehung zu anderen verfälschen und dazu führen, dass wir stigmatisierend und diskriminierend handeln, oft, ohne uns dessen bewusst zu sein.

Im Gesundheitsbereich wie auch in anderen Bereichen wird es erst durch die Arbeit an uns selbst möglich, die Befähigung von Menschen mit HIV anzuerkennen, für sich selbst Sorge zu tragen, und die Entscheidungen zu akzeptieren, die sie in diesem Sinne treffen.

Impact Management

Sich über Stigmatisierung und Diskriminierung aufgrund des HIV-Status zu informieren, ermöglicht es, sie zu erkennen, ihnen vorzubeugen oder ihnen ein Ende zu setzen. Menschen mit HIV und die sie begleitenden Organisationen sind wichtige Partnerinnen und Partner in diesem Bereich.

Bei einer erlebten Stigmatisierung oder Diskriminierung ist es wichtig, darüber zu reden. Sie zu melden, ermöglicht es, sie sichtbar zu machen. Sie kann der Aids-Hilfe Schweiz, direkt dem juristischen Dienst oder über eine Mitgliederorganisation gemeldet werden. Der Nationalverband erfasst die Daten, um den Bundesbehörden Bericht zu erstatten. Falls möglich, lohnt es sich, dies direkt gegenüber der Person zu tun, die die Handlung begangen hat, und/oder gegenüber der Institution, in der sich der Vorfall ereignet hat. Auch ist es möglich, mit anderen Menschen mit HIV und/oder mit Fachpersonen darüber zu sprechen. Dadurch können negative Gefühle überwunden werden, die solche Situationen in uns auslösen können, und kann herausgefunden werden, wie individuell und gemeinsam reagiert werden kann.